Wenn die momentane Weltlage auch nur einen Vorteil hat, dann dass man auf einmal Zeit für Dinge hat, die seit langem auf der „Eigentlich könnte ich mal wieder“-Liste festzukleben schienen. In den letzten Jahren fuhr Bond bei mir aus verschiedenen Gründen auf Sparflamme – wenn ich doch mal einen Film sah, fand ich ihn so gut wie eh und je, aber der Suchtfaktor wollte sich nicht mehr einstellen. Die Luft war irgendwie raus. So kam es, dass ich zum Beispiel seit Jahren keinen einzigen Brosnan mehr gesehen hatte und selbst Favoriten wie FRWL nicht mehr zum Einsatz kamen. In den letzten drei Wochen fanden dann aber wieder sechs Bonds in meinen Player: Zeit für ein Fazit.
Am Anfang stand das Connery-Triple FRWL, GF und TB. FRWL großartig und in Istanbul überaus atmosphärisch, GF – wie schön, ihn noch gesehen zu haben, bevor auch Pussy Galore zur goldenen Harfe griff – ein einziges Fest und für mich nach wie vor die Quintessenz dessen, was Bond ausmacht. Während John Barrys Fanfaren ertönen und sich Bond und Goldfinger, Connery und Fröbe herrlich duellieren, kommt buchstäblich Partystimmung auf. Positiv hat mich TB überrascht, ein Film, mit dem ich zugunsten seines Remakes ja immer etwas hadere. Objektiv ist dem Film freilich wenig vorzuwerfen: Kamera, Ausstattung, Musik, Besetzung: oberstes Niveau. Und wenn ich das mal so sagen darf: eine Frau schöner als die andere. Wo es allerdings hapert, ist die Figurenentwicklung, wenn es bei Bond denn sowas gibt, bzw. die Entwicklung der jeweiligen Beziehungen. Das klappt in NSNA m. E. einfach besser und macht den Film für mich kurzweiliger. Ergäbe eine Bestenlistederzeit Sinn, würde TB trotzdem an den Top Ten kratzen.
Besonders gefreut habe ich mich nach langer Zeit auf Pierce. Seit ich mit Craig etwas zu fremdeln begonnen habe, blickte ich, ohne es zu verifizieren, immer positiver auf die klassischer anmutende Brosnan-Ära und hoffte, hier manche Qualitäten zu entdecken, die bislang von den – vermeintlichen? – Schwächen überdeckt gewesen sein mochten. Da ich mich zu GE nicht durchringen konnte, wurde das Wiedersehen mit TND begangen – ein Film, auf den ich rückblickend immer milde blicke. Doch entweder war der Film schlecht gewählt, oder die einsetzende Verklärung Brosnans hat die Ära mit einer Vorfreude versehen, der zumindest TND nicht gerecht werden konnte. Wie in allen Brosnan-Bonds wird aus einer eigentlich großartigen Grundidee zu wenig gemacht, prinzipiell hervorragende Szenen bleiben unverbunden nebeneinander oder wechseln mit deutlich weniger guten, und der Film findet nicht zu einem wirklich stimmigen Ton. Die Sprünge von Ernst zu Absurd zurück zu Ernstem und dann wieder zur Albernheit findet man auch in zahlreichen anderen Bonds (fast in allen), aber hier sind die Brüche störend, zumal Brosnan in den emotionalen Szenen groß aufzuspielen versucht, was ohnehin nicht seine Stärke ist, diese dann abwertet und den Hüpfer zurück zum Mr. Obercool umso augenfälliger macht. Den Wechsel von Bond mit funktionierender zum Bond mit kurz wackelnder Fassade hat z. B. Moore in TSWLM oder MR viel besser hinbekommen, gerade weil er sich in den ernst-verletzlichen Szenen sehr zurücknahm. Dennoch ist Brosnan ein Aktiv-Posten des Films, anders als Carver, der mir die ganze Zeit nur schwer auf den Geist gegangen ist – was mehr an Regie und Drehbuch liegt als an dem auf völlig verlorenem Posten stehenden Jonathan Pryce. Die von vielen hoch geschätze PTS fand ich hingegen schon immer langweilig, daran hat sich nichts geändert. Meine Lieblingsszene – vielleicht in allen Brosnans – bleibt die Konfrontation mit Dr. Kaufmann, in der die Kombination von Spannung und Absurdität, von Gadgets und Härte perfekt gelingt – in der Inszenierung wie auch in Brosnans Spiel.
TLD war dann gewissermaßen eine Heimkehr. Nach ebenfalls extrem langer Pause war der Blick vertraut und frisch zugleich – ich finde den Film nach wie vor nahezu makellos, selbst die streitbare Schlussszene erhält ihre Daseinsberechtigung durch Robert Browns herrlich britisches „I can’t imagine why“, mit dem er Kamran Shahs Probleme bei der Einreise kommentiert. Timothy Daltons Loblied zu singen werde ich anscheinend niemals müde, heute folgende Strophen: Gerade im unmittelbaren Vergleich zu TND wird hier augenfällig, wie sehr Dalton seinen Bond zu einer glaubwürdigen und stringenten, konsistenten Figur formt. Die Art, wie dieser Bond in lange gewachsenen Beziehungen zu anderen steht – wie zu Q und M (man glaubt z. B. wirklich, dass Bond und Q seit Jahren miteinander arbeiten, obwohl die Darsteller erstmals miteinander vor der Kamera standen) – bzw. begründet und entwickelt (Kara, Saunders), das ist alles überaus stimmig (eine Ausnahme ist ausgerechnet Leiter – wohl auch deshalb erfolgte hier die Umbesetzung in LTK). Saunders wird so die vielleicht differenzierteste Helferfigur der 007-Historie, die wir parallel zu Bond mit wachsender Sympathie betrachten und deren Tod in dem Moment, wo wir den Beginn einer wunderbaren Freundschaft zu erleben glauben, wirklich erschreckt - mündend in dem zu Recht fast allseits geschätzten Ballon-Moment. Der Preis dafür ist, dass dieser Bond weniger direkt mit dem Publikum kommuniziert als seine Vorgänger und Nachfolger. Entsprechend funktioniert auch der Humor anders, ist aber durchaus vorhanden. Ein Beispiel ist, wie Bond gegenüber Saunders über Stradivari-Cellos doziert, als wisse er alles darüber, dabei aber nur wiedergibt, was er kurz zuvor von Kara aufgeschnappt hat. Dalton bringt das ohne sichtbare Ironie (die nicht Saunders, sondern nur dem Zuschauer verständlich wäre), völlig ernst. Witzig (für mich) wird das dadurch, dass der Zuschauer um den Bluff weiß und ihn als Komplize genießen kann, während Bond auf der Handlungsebene gegenüber den anderen Personen konsequent und glaubwürdig bleibt. Ähnliches gilt für die Gereiztheit, die Bond manchmal an den Tag legt, etwa gegenüber Kara, wenn sie die Mission – und auch beider Leben – gefährdet, etwa wenn sie darauf besteht, ihr Cello abzuholen, oder wenn er sie, emotional angegriffen nach Saunders' Tod, mit sich zerrt. Während z. B. Connerys oder Moores Bond die plötzlichen Hindernisse während der Mission oft als Herausforderung für zwischendurch fast amüisert annehmen, ist Daltons Bond erst nachvollziehbar gereizt, bevor er, einmal in der Situation drin, dann doch seinen Spaß daran entdeckt. Er braucht diesen Moment zum Umschalten - für viele wohl Teil des Problems, denn hier liegt die Betonung mehr auf dem Profi alsauf dem Abenteurer, Überleben ist weniger Kunst als Arbeit.
Den bisherigen Abschluss meines Bond-Wiedersehens bildete SF. Ein guter, ja sehr guter Film, aber irgendwie zeigte sich auch hier, dass es der Bond der nach-klassischen Ära bei mir inzwischen schwerer hat. Der Bruch mit den Konventionen, die bei Brosnan oft zum Zitat um seiner selbst willen wurden, war seinerzeit erfrischend und auch sicher nötig; doch scheint mir die Überbetonung des Schmerzensmanns Bond unter Craig nunmehr ihrerseits zur Masche verkommen. In CR und QOS, den „Becoming Bond“-Filmen, funktioniert das nach wie vor (in der Rückschau zumindest, da nicht neu gesehen). Aber auch den gereiften SF-Bond, den Mallory am liebsten in den Ruhestand schicken möchte, nun wieder und wieder mit persönlichen Tragödien und Andeutungen finsterer Traumata zu konfrontieren, führt letztlich in eine ähnliche Sackgasse, wie sie schon nach DAD erreicht war. Der Kardinalfehler war m. E., nach dem Erfolg von CR Bond zwar zu einer Serie mit filmübergreifender Charakterentwicklung machen zu wollen, sich aber von Produzentenseite nie daran zu setzen, das konzeptionell auszuarbeiten, sondern sich von Film zu Film zu hangeln und den jeweiligen Regisseuren und bedauerlicherweise auch Craig viel zu viel Einfluss einzuräumen. War Craig für die Figur aus CR ohnehin streng genommen schon etwa zehn Jahre zu alt, hat die Zwangspause nach QOS und der Sprung zu Bond im Herbst seiner Karriere diesem holprig verfolgten Ansatz eigentlich den Stecker gezogen. Bei SF ist das noch nicht virulent, weil hier klugerweise auf jegliche Vesper-Anspielung verzichtet wird und Bond dafür mit neuen oder zumindest bislang unbekannten alten Baustellen zu tun bekommt. Silva ist leider ein etwas zu offensichtlicher Versuch, einen ikonografischen Villain zu kreieren, auch die Anleihen beim Nolan-Batman im Allgemeinen wie bei The Dark Knight im Besonderen sind schon etwas zu viel des Guten. Vielleicht hätte es schon geholfen, Javier Bardem – oder wer auch immer – hätte Silva eher geradlinig gespielt, ohne die ganzen Manierismen und Affektiertheiten. Dazu hätte es faktisch keiner Änderung im Dialog gebraucht, und die Figur hätte, bei aller Kurzweil, die sie verbreitet, als Villain besser funktioniert. So landen Villain wie Film beide im gehobenen 007-Mittelfeld, was aber angesichts der Konkurrenz nichts ist, dessen sich ein Bond zu schämen braucht. Etwas schwer tat ich mich übrigens mit Dietmar Wunder, der mir doch etwas aufgesetzt dauerironisch klang. Schaltete ich dann mal ins Original, war’s gleich besser. Ein Manko Craigs für mich ist jedoch, dass er im Smoking immer verkleidet aussieht, während alle anderen Darsteller – selbst Lazenby – ihn so selbstverständlich wie einen Pyjama zu tragen verstehen.
Wie auch immer: Nicht erst seit NTTD nahtlos an SP anzuknüpfen droht und die angekündigte Laufzeit größte Ambitionen befürchten lässt, frage ich mich, wie es nach der Ära Craig weitergehen soll. Was für ein Ende NTTD auch immer Bond bescheren wird – wird sein Nachfolger darauf direkt aufbauen können? Wird auch er sich an Vesper erinnern, wie sich der Moore-Bond an Tracy erinnerte? Oder fängt sein Nachfolger, Darsteller 007, wieder bei null an, eher als etablierter Agent wie Dalton/Brosnan denn als Frischling (ein erneutes direktes Reboot wird man ja kaum wollen), oder doch wieder mit Reminiszenzen ausgerechnet an 002? Wird die Craig-Ära dann als für sich stehender, aber isolierter Block innerhalb der Reihe verbleiben, ob hochgeschätzt oder eher ambivalent betrachtet? Trotz der Rückkehr von Oberhauser und Miss Swann hoffe ich auf einen versöhnlichen Abschluss der so fulminant gestarteten Ära.
Und nun genug der Plauderei. Wer's bis hierhin geschafft hat: Respekt und Dank für die Geduld.